19. September 2023

Ein kleines Erinnern an diejenigen, die nicht mehr zu sehen sind, aber dennoch und immer wieder vor mir stehen

Kito Lorenc (1938 - 2017)

Auf Nachfrage der Sächsischen Zeitung schrieb ich 1991 meine allererste Rezension zu dem Gedichtband "Gegen den großen Popanz" von Kito Lorenc. Im nächsten Jahrhundert gab es etliche von Angela Hampel initiierte Besuche in Wuischke. Hier ein Text zu seinem Fünfundsiebzigsten.

Sisyphus vom Czorneboh

Zwei neue Bücher zum 75. Geburtstag des sorbischen Dichters Kito Lorenc


An die zweisprachigen Ortsschilder östlich von „Schiebock“ haben sich die Sachsen gewöhnt. „Budyšin“ ist kein Fremdwort mehr. Wenn im vornehmlich protestantisch gesinnten Sachsen plötzlich an Lausitzer Feldrändern Kruzifixe stehen, kein Problem, schließlich ist anno dunnemals ein namhafter sächsischer Kurfürst aus Karrieregründen auch schon mal konvertiert. Aber daß dort eine slawische Sprache gesprochen, obersorbische Bücher geschrieben, niedersorbische Lieder gesungen werden, oder gern auch andersherum, scheint andernorts eine Randerscheinung geblieben zu sein, die gern übersehen oder auch unterschlagen wird. Einer, der seit Jahrzehnten unermüdlich dafür arbeitet, daß sorbische Sprache und Literatur im und am Leben bleibt, ist der Dichter Kito Lorenc. Man könnte ihn den Sisyphus vom Czorneboh nennen, weil er immer wieder überlieferte und eigene Sprachbrocken den Berg hinauf gewuchtet hat und dabei etliches verloren geben mußte. Leicht ist ihm die Arbeit nie gemacht worden. Anerkennung fand er spät; 2008 Ehrendoktorwürde der TU Dresden, 2009 Lessingpreis des Freistaates Sachsen, 2012 Petrarca-Preis.

Geboren am 4. März 1938 als Christoph Lorenz in Schleife bei Weißwasser, deutsch aufgewachsen, brachte er sich die sorbische „Großvatersprache“ selbst bei. Er wollte die nachgelassene Bibliothek seines obersorbischen Dichtergroßvaters Jakub Lorenc-Zalěski lesen und nutzen. Diese dürfte den literarischen Humus geliefert haben für jene großangelegten Sammlungen sorbischer Dichtung, für die Kito Lorenc auch als Nachdichter verantwortlich zeichnet: „Sorbisches Lesebuch“ 1981 und „Das Meer Die Insel Das Schiff“ 1994. „Eigentlich bin ich der Sohn meiner Großeltern.“ Ab 1952 besuchte er die sorbische Internatsschule Cottbus, studierte 1956-1961 Slawistik an der Universität Leipzig, war Mitarbeiter am „Institut für sorbische Volksforschung“ und Dramaturg am Bautzner Deutsch-Sorbischen Volkstheater. Doch seine Passion ist die Dichtung, seinen Dichternamen leitete er vom Großvaternamen ab. „Gedichte geschrieben habe ich etwa seit meinem 12. Lebensjahr ununterbrochen, zunächst deutsch, später immer mehr auch sorbisch.“ 1961 debütierte er mit dem Bändchen „Nowe časy – nowe kwasy“ („Neue Zeiten – neue Hochzeiten, Gedichte aus den Studentenjahren“).

Zweisprachigkeit wurde Kito Lorenc zum poetischen Programm, „zu einem widerspruchsvollen Dauer- und Wechselverhältnis der Anziehung und Abstoßung, von Lust und Last“. Deutlich werden diese Spannungen, wenn man Lorenc' Odyssee durch die Verlage bedenkt: Aufbau Berlin, Kinderbuchverlag, Reclam Leipzig, buch&media München, Wieser Klagenfurt. Einzige Konstante ist der Bautzener Domowina-Verlag, der nahezu alle seine sorbischsprachigen Bücher publiziert hat. Bis heute hat kein deutscher Verleger Kito Lorenc die Treue gehalten. Jetzt präsentiert die „Bibliothek Suhrkamp“ eine Auswahl seiner deutschen Gedichte, eingerichtet und mit einem freundschaftlich warmherzigen Vorwort versehen von Peter Handke. Vom frühen Beginn mit den an Johannes Bobrowski geschulten programmatischen Gedichten „Die Struga“ und „Lieder aus Slěpe“, über die „Popanz“-Gedichte der späten 1980er Jahre bis in jüngste Zeit spannt sich der Bogen. Vollständig ausgespart bleiben Beispiele visueller Poesie, nur vereinzelt rumoren sprachspielerische Momente: „Zwei Völker sind unvollkommen/ein Volk ist unvollkommen/ein halbes Volk ist unvollkommen/kein Volk ist vollkommen“.

Zeitgleich legt der Domowina-Verlag eine zweisprachige Sammlung „Essays, Gespräche, Notate“ von Kito Lorenc vor. Hier zeigen sich der theoretische Unterbau Lorencscher Poetologie, sein unermüdlicher Wille zum Bewahren sorbischer Geschichte und Geschichten, seine feinsinnige Selbstironie. „Noch weniger als Nationalitäten interessieren mich nur Parteien. Am liebsten mag ich Klavier (Kaviar überhaupt nicht), spanisches Ferkel und ungarischen Gulasch.“

(Erschienen in Sächsische Zeitung, 04.03.2013)


Im Frühlingsgarten zu Wuischke Juni 2017 (c) A. Hampel