tag:blogger.com,1999:blog-2476701065516714392024-03-14T04:05:05.710+01:00Michael WüstefeldMichael Wüstefeldhttp://www.blogger.com/profile/06133041552877944525noreply@blogger.comBlogger21125tag:blogger.com,1999:blog-247670106551671439.post-22313025301168952212023-09-27T14:20:00.002+02:002023-10-01T14:24:49.731+02:00Ein kleines Erinnern an diejenigen, die nicht mehr zu sehen sind, aber dennoch und immer wieder vor mir stehen.<p><span style="font-family: Helvetica;"><span style="font-size: medium;"><b>Eberhard Göschel (1943 - 2022)</b></span></span></p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 12px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px; min-height: 14px;"><br /></p>
<p style="font-family: Helvetica; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Als ich meinen Sohn noch gelegentlich auf dem Arm trug (heute nimmt er mich auf den Arm), standen wir vor dem Ausstellungsplakat von Eberhard Göschel, das in unserer Wohnung an die Wand gepinnt war. Der Handdruck war und ist mir eine Kostbarkeit, war es doch eines der ersten, wenn nicht überhaupt das erste Original, das ich mir vom Ingenieurgehalt kaufte. Auch dem Sohn schien das Bild damals zu gefallen, denn er griff lustvoll ins Blau, und zack!, war rechts oben die Himmelsecke ab. Mein Schrecken darüber ließ ein winziges Gedicht entstehen, das eigentlich unveröffentlicht bleiben wollte, jetzt aber Eberhard Göschel nachgerufen werden soll. Unsere Begegnungen in der „Obergrabenpresse“, in Fürstenau, in seinen Ateliers, aber auch die eine und andere gemeinsame künstlerische Attacke, sind mir unvergessen.</p>
<p style="font-family: Helvetica; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px; min-height: 14px;"><br /></p>
<p style="font-family: Helvetica; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;"><b>DER SOHN HOLT</b></p>
<p style="font-family: Helvetica; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">ein Stück Himmel</p>
<p style="font-family: Helvetica; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">vom Plakat</p>
<p style="font-family: Helvetica; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">handgedruckt</p>
<p style="font-family: Helvetica; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">1975</p>
<p style="font-family: Helvetica; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">E.G.</p>
<p style="font-family: Helvetica; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px; min-height: 14px;"><br /></p>
<p style="font-family: Helvetica; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Zerreiß doch</p>
<p style="font-family: Helvetica; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">den blauen Schein hundert Mark</p>
<p style="font-family: Helvetica; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">meinen Paß das alte Moskauer Visum</p>
<p style="font-family: Helvetica; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">die Ausweise Kennzahlen Beiträge</p>
<p style="font-family: Helvetica; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">das macht mich nicht ratlos</p>
<p style="font-family: Helvetica; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px; min-height: 14px;"><br /></p>
<p style="font-family: Helvetica; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Aber dein Riß</p>
<p style="font-family: Helvetica; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">ins 75er Blau</p>
<p style="font-family: Helvetica; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">von E.G.</p>
<p style="font-family: Helvetica; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">(20.05.1977)</p><p style="font-family: Helvetica; font-size: 12px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;"><br /></p><p style="font-family: Helvetica; font-size: 12px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;"><br /></p><table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhbfOUT0vL5CBZaum-xQt7CcwzEPtmxoLtSQ-bo6lZKswBgYQfGwecgG9K9nY0DNqqUDIM8HAC3WJLMV4Azl8f6VOqh8RcKzB7vv-yWW2lTdCSvqSsy0X8uKeoTjAwKOS5LFaJ0g07BoT2ZYSccMPcZPiaYyDiT_NFy6mw5OqssBViby5d0WsGt9Hf8oLg/s1883/Go%CC%88schel%20(1).jpg" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="1883" data-original-width="1408" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhbfOUT0vL5CBZaum-xQt7CcwzEPtmxoLtSQ-bo6lZKswBgYQfGwecgG9K9nY0DNqqUDIM8HAC3WJLMV4Azl8f6VOqh8RcKzB7vv-yWW2lTdCSvqSsy0X8uKeoTjAwKOS5LFaJ0g07BoT2ZYSccMPcZPiaYyDiT_NFy6mw5OqssBViby5d0WsGt9Hf8oLg/s320/Go%CC%88schel%20(1).jpg" width="239" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><br />Rechts oben der Riß (c) Foto privat</td></tr></tbody></table><br /><p style="font-family: Helvetica; font-size: 12px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;"><br /></p>Michael Wüstefeldhttp://www.blogger.com/profile/06133041552877944525noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-247670106551671439.post-68628709021936687942023-09-26T15:57:00.002+02:002023-10-01T17:23:12.799+02:00Ein kleines Erinnern an diejenigen, die nicht mehr zu sehen sind, aber dennoch und immer wieder vor mir stehen.<p><b style="font-family: "Times New Roman";"><span style="font-size: medium;">Wulf Kirsten (1934 - 2022)</span></b></p><p><b style="font-family: "Times New Roman"; font-size: 14px;">Mit Wulf Kirsten auf den Olymp</b></p>
<p style="font-family: "Times New Roman"; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">1</p>
<p style="font-family: "Times New Roman"; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Die Besteigung hat eine Vorgeschichte.</p>
<p style="font-family: "Times New Roman"; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">In Leonberg wurde im November 2010 zum zehnten Mal der Christian-Wagner-Preis verliehen. Die Jury wollte Helga M. Novak preisen, die jedoch krankheitsbedingt nicht anreisen konnte. Vertreten wurde sie vom vorherigen Preisträger Wulf Kirsten, der sich unverkleidet und ungeschminkt der Aufgabe wacker stellte. Aus verqueerer Sicht von heute eigentlich unvorstellbar, damals aber kein Problem. Ich war luftbereift von Gerbersau herübergefahren gekommen, wo ich im Namen von Hermann Hesse stipendisierte und mich auf der Suche nach der von Wulf Kirsten in die Literaturgeschichte eingeschriebenen Wasseramsel befand. Da kam mir eine Begegnung mit dem „Laienornithologen“ gerade recht. Wir trafen uns im abendlich verdämmerten Spitalhof des Stadttheaters, neben ihm eine verschattete Person mit sooo einen Bart, der Novak-Verleger. Ich wurde als nichtgeladener Gast auf Kirstens Platz verwiesen, der den Ehrenplatz von Frau Novak inne hatte. Auf dem Reservierungszettel war „Dr. h.c. Wulf Kirsten“ vermerkt. Er mochte die vielen Vornamen nicht. „Wulf“ genügte ihm vollauf. Den Zettel habe ich noch, ohne zu wissen, warum. Die Preisverleihung ging weihevoll über die Bühne. Kirsten spielte die Rolle „Novak“ souverän, mußte aber Urkunde und Preisgeld nach symbolischer Übergabe sogleich wieder zurückgeben, so daß ihm nichts blieb, als in ihrem Namen zu danken. Am nächsten Tag war eine Matinee-Lesung der Preisträgerin im Christian-Wagner-Haus angesetzt. Immer noch war Frau Novak krankheitsbedingt verhindert. Immer noch hatte ihr Verleger sooo einen Bart. Vertretungshalber las Wulf Kirsten die Gedichte der Poetessa. Danach beendeten Kirsten und ich, in unsere ganz und gar eigenen Rollen verstrickt, den nassen Novembersonntag in Gerbersau, nahmen die Spuren von Hesse und Wasseramsel auf, bevor ich anderntags W.K. zu Frau Sofia und Paul Schneider nach Weimar brachte. Als wir auf winterlicher Thüringen-Autobahn bei Matsch und Schnee Rentwertshausen passierten, wies W.K. rechtsnüberwärts auf die im Dunst gerade noch erkennbaren Gleichberge und sagte, jeder Dichter müsse wenigstens einmal im Leben den thüringischen Olymp bestiegen haben. Gesagt, getan.</p>
<p style="font-family: "Times New Roman"; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px; min-height: 15px;"><br /></p>
<p style="font-family: "Times New Roman"; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">2</p>
<p style="font-family: "Times New Roman"; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Die Besteigung.</p>
<p style="font-family: "Times New Roman"; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Um aufzusteigen, stiegen wir Mai 2013 im „Hirsch“ zu Römhild ab. Das Grabfeld also. Um 1977 schrieb Helga M. Novak: „ich trete dem Grabfeld ins enge Herz/und bin mutlos über so traurige Gegend“. So traurig empfand ich die Gegend gar nicht. Aber ich fühlte in anderen Zeiten. Kein Sperrgebiet mehr, keine Grenze. Kirsten kannte sich aus. Was er nicht kannte, doch wissen wollte, erfuhr er in Gesprächen übern Gartenzaun. Obwohl die Kalte Sophie regierte, gingen wir den Kleinen Gleichberg bei über zwanzig Grad von der Waldhaussiedlung an. In den Rucksäcken Brote und Bücher als Wegzehrung. Die Hexenzwiebel überblühte den Basaltkegel. Knoblauchdämpfe stiegen uns in die Nase, als hätten hier keine Kelten sondern russische Muschkoten in Stellung gelegen. Ein Gipfelbuch gab es auf der Steinsburg nicht. Dafür zückte W.K. ein Heft, las daraus Gleichberg-Gedichte von Walter Werner, Harald Gerlach, Annerose Kirchner. Strophen in geschichtsträchtige Luft gesprochen, zweifelhafter Haltbarkeit überlassen. Helga M. Novak wohnte damals in Breitensee, unterfränkisches „Zonenrandgebiet“, von drei Seiten grenzumschlossen. Wulf Kirsten wies mir die Richtung. Unwirklich nah, sagte ich. Während Römhild'sche Gleichbergbesteiger sich die Augen bis 1989 womöglich gen Westen wund sahen, sah die Novak ihrerseits den ach so nahen Gleichberg fern zugleich, übersah „nicht das Messer am Hals“ beim weiten Blick zur keltischen „Fliehburg“ und sang ihr kleines Grenzlied: „wohin ist jene Stille/die mich anfangs bewog/ruhmlose Langeweile/als ich in solchen Landstrich zog//endlos staubige Grenze/die im Regenschatten liegt/zerfahren von Raupenpanzern/wie in einem längst vergeßnen Krieg“. Natürlich hatte W.K. auch jenen Brief dabei, den Hölderlin seinem Halbbruder Carl im August 1794 aus Waltershausen schrieb: „Letzten Sonntag war ich auf dem Gleichberge, der sich eine Stunde von Römhild über die weite Ebene erhebt.“ Also war längst und ein für allemal verbrieft, daß Hölderlin die „traurige Gegend“ mit seinen Füßen geadelt hatte, was den Begriff vom „thüringischen Olymp“ mehr als rechtfertigt. Abends feierten wir die olympische Besteigung im Altfränkischen Hof bei Spanferkel und Hackbraten, bestückt mit Thüringer Klößen, die in arg brauner Soße schwammen, was wir nicht kommentierten.</p>
<p style="font-family: "Times New Roman"; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px; min-height: 15px;"><br /></p>
<p style="font-family: "Times New Roman"; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">3</p>
<p style="font-family: "Times New Roman"; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Die Besteigung hatte ein Nachspiel.</p>
<p style="font-family: "Times New Roman"; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Zwei Jahre später bestiegen wir den Großen Gleichberg von Gleichamberg aus. Beim Abstieg kam uns ein Pkw entgegen, den Wulf Kirsten anhielt, um den Fahrer erbost darauf hinzuweisen, daß hier ein striktes Fahrverbot herrsche. Lachend gab sich der Fahrer als Bürgermeister von Römhild zu erkennen, der eine Inspektionsrunde drehe. Verschmitzt stellte sich W.K. als WanderDichter von Weimar und mich als TalDichter von Dresden vor. Schnell herrschte eitel Sonnenschein. Die Rede war von Harald Schnieber alias Gerlach und dem einsiedlerischen Oberförster Gundelwein aus Haina, auch vom Wirt des Hirsch-Hotels, der beim Tauchen ertrunken sein soll, und von Helga M. Novak, ihren Jahren in Breitensee mit Horst Karasek, einem Bruder von Hellmuth Karasek, und dem Buch „Das Haus an der Grenze“, das von der „traurigen Gegend“ erzählt. Bei W.K. kam immer eins zum anderen. Oft stand oder saß ich daneben und hörte nur zu. Verkapselt in Erinnerung ist das heute noch so.</p><p style="font-family: "Times New Roman"; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">(Erschienen in: "Unterwegs mit Wulf Kirsten.Eine Freundesgabe", Elsinor Verlag 2023)</p><p style="font-family: "Times New Roman"; font-size: 12px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;"><br /></p><table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEisKjTl2DmwnqqY0VwK_p-av2Ey75p0XT3oD3aP0VYBGA8E1ytQosEAFQ_ZknpL0tvM5sI2hqlfxKyQOciLzE5vLgOyfR2zyQWKDYjAQOrher2cHSfJpD7_EqRJCcOQZJcCD992ccZ3hZiqF2qXRD8SYtWxf3ekfhf_ip5uxZJ92H8JpURLMBYQf0CPab8/s2560/CIMG7689.jpg" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="1920" data-original-width="2560" height="240" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEisKjTl2DmwnqqY0VwK_p-av2Ey75p0XT3oD3aP0VYBGA8E1ytQosEAFQ_ZknpL0tvM5sI2hqlfxKyQOciLzE5vLgOyfR2zyQWKDYjAQOrher2cHSfJpD7_EqRJCcOQZJcCD992ccZ3hZiqF2qXRD8SYtWxf3ekfhf_ip5uxZJ92H8JpURLMBYQf0CPab8/w320-h240/CIMG7689.jpg" title="Wulf Kirsten visiert 2015 vom Großen Gleichberg den Kleinen Gleichberg an (c) Foto privat" width="320" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><br /><span style="font-size: x-small;">Wulf Kirsten visiert 2015 vom Großen Gleichberg den Kleinen Gleichberg an (c) Foto privat</span></td></tr></tbody></table><br /><p style="font-family: "Times New Roman"; font-size: 12px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;"><br /></p>Michael Wüstefeldhttp://www.blogger.com/profile/06133041552877944525noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-247670106551671439.post-52007464438722744972023-09-26T15:42:00.003+02:002023-10-01T14:25:18.075+02:00Ein kleines Erinnern an diejenigen, die nicht mehr zu sehen sind, aber dennoch und immer wieder vor mir stehen.<p><span style="font-family: "Times New Roman"; font-size: 18px;"><b>Thomas Rosenlöcher (1947 - 2022)</b></span></p>
<p style="font-family: "Times New Roman"; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Obwohl es von dort, wo wir viele Jahre wohnten, also von Kleinzschachwitz nach Leuben, wie auch andersherum, nur ein Katzensprung war, wurde es zwischen uns nie familiär. Private Besuche blieben eine Seltenheit. Aber wir wußten voneinander. Kennengelernt hatten wir uns 1975 in einer „Fördergruppe Schreibender Arbeiter“. Das gab es wirklich! Ein nicht langanhaltendes Unternehmen, das auf dem damals vielerorts praktizierten „Nickmechanismus“ (Rosenlöcher-Wort) beruhte. Später kreisten wir um sehr verschiedene Sonnen. Unsere Umlaufbahnen berührten sich selten. Vielleicht aber hatten wir mehr Gemeinsamkeiten, als wir uns jemals eingestehen wollten? Ja, wir wußten voneinander.</p>Michael Wüstefeldhttp://www.blogger.com/profile/06133041552877944525noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-247670106551671439.post-69494871053726522612023-09-19T19:25:00.007+02:002023-09-26T15:41:45.135+02:00Ein kleines Erinnern an diejenigen, die nicht mehr zu sehen sind, aber dennoch und immer wieder vor mir stehen.<p><b><span style="font-size: medium;">Wolfgang Hädecke (1929 - 2022)</span></b></p><p style="font-family: "Times New Roman"; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Wenn ein Schriftsteller-Kollege endgültig gegangen ist, zumal einer, mit dem ich mich freundschaftlich verbunden wußte, gehe ich normalerweise zum Bücherregal, weil er dort noch lebt. Als mich die Nachricht erreichte, Wolfgang Hädecke sei gegangen, war das etwas anders. Zwar vergewisserte ich mich, daß seine Bücher noch bei mir waren, nahm auch das Eine und sogar das Andere in die Hand, las hier einen Satz und einen Absatz da, aber letztlich kam das Erinnern an ihn doch auf ganz anderen Wegen zu mir. Wenige Tage nach seinem Tod sah ich einen Dokumentarfilm über <span style="color: #2b2c2d;">Edson Arantes do Nascimento. Plötzlich wünschte ich, ich hätte die Dokumentation über Pelé mit ihm gemeinsam sehen können, jetzt da Wolfgang selbst in der „Tiefe des Raumes“ verschwunden ist, mir noch einmal von ihm in seiner unnachahmlichen Art erklären zu lassen, was ein „geschlänzter Ball“ ist. Es schmerzt, daß nun aus seiner Leidenschaft kein Sieg-, sondern ein Jenseitstor wurde.</span></p><div><br /></div><table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEj-HGT3ft-oq4U6Zu70Wlr86N1yF5zmO4qlaUScIGOhlTxB_Edva5MtKy9-P6xdGv8tTM_qs8NB7TvgghPXSZ18YOL5pwEXK47vkDyFisyTnLU-FcxH3VHVRwaoUGNqYgdheaOvhIwCsU1IsbMgfOSmT68gCP4Jdi0tnDau0MKPQ_UaE-F5lx19Mev7ras/s1968/Wolfgang%20Okt.%202015.jpg" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="1968" data-original-width="1322" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEj-HGT3ft-oq4U6Zu70Wlr86N1yF5zmO4qlaUScIGOhlTxB_Edva5MtKy9-P6xdGv8tTM_qs8NB7TvgghPXSZ18YOL5pwEXK47vkDyFisyTnLU-FcxH3VHVRwaoUGNqYgdheaOvhIwCsU1IsbMgfOSmT68gCP4Jdi0tnDau0MKPQ_UaE-F5lx19Mev7ras/s320/Wolfgang%20Okt.%202015.jpg" width="215" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Wolfgang Hädecke am Stammtisch, Oktober 2015, Foto privat</td></tr></tbody></table><br /><p style="font-family: "Times New Roman"; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;"><br /></p>Michael Wüstefeldhttp://www.blogger.com/profile/06133041552877944525noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-247670106551671439.post-38852060160523740152023-09-19T19:15:00.005+02:002023-09-26T15:43:02.362+02:00Ein kleines Erinnern an diejenigen, die nicht mehr zu sehen sind, aber dennoch und immer wieder vor mir stehen<p><b><span style="font-size: medium;">Kito Lorenc (1938 - 2017)</span></b></p><p>Auf Nachfrage der Sächsischen Zeitung schrieb ich 1991 meine allererste Rezension zu dem Gedichtband "Gegen den großen Popanz" von Kito Lorenc. Im nächsten Jahrhundert gab es etliche von Angela Hampel initiierte Besuche in Wuischke. Hier ein Text zu seinem Fünfundsiebzigsten.</p><div class="page" title="Page 1"><div class="page" title="Page 1"><p style="font-family: "Times New Roman"; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;"><b><span style="font-size: medium;">Sisyphus vom Czorneboh</span></b></p>
<p style="font-family: "Times New Roman"; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Zwei neue Bücher zum 75. Geburtstag des sorbischen Dichters Kito Lorenc</p>
<p style="font-family: "Times New Roman"; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px; min-height: 15px;"><br /></p>
<p style="font-family: "Times New Roman"; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">An die zweisprachigen Ortsschilder östlich von „Schiebock“ haben sich die Sachsen gewöhnt. „Budyšin“ ist kein Fremdwort mehr. Wenn im vornehmlich protestantisch gesinnten Sachsen plötzlich an Lausitzer Feldrändern Kruzifixe stehen, kein Problem, schließlich ist anno dunnemals ein namhafter sächsischer Kurfürst aus Karrieregründen auch schon mal konvertiert. Aber daß dort eine slawische Sprache gesprochen, obersorbische Bücher geschrieben, niedersorbische Lieder gesungen werden, oder gern auch andersherum, scheint andernorts eine Randerscheinung geblieben zu sein, die gern übersehen oder auch unterschlagen wird. Einer, der seit Jahrzehnten unermüdlich dafür arbeitet, daß sorbische Sprache und Literatur im und am Leben bleibt, ist der Dichter Kito Lorenc. Man könnte ihn den Sisyphus vom Czorneboh nennen, weil er immer wieder überlieferte und eigene Sprachbrocken den Berg hinauf gewuchtet hat und dabei etliches verloren geben mußte. Leicht ist ihm die Arbeit nie gemacht worden. Anerkennung fand er spät; 2008 Ehrendoktorwürde der TU Dresden, 2009 Lessingpreis des Freistaates Sachsen, 2012 Petrarca-Preis.</p>
<p style="font-family: "Times New Roman"; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Geboren am 4. März 1938 als Christoph Lorenz in Schleife bei Weißwasser, deutsch aufgewachsen, brachte er sich die sorbische „Großvatersprache“ selbst bei. Er wollte die nachgelassene Bibliothek seines obersorbischen Dichtergroßvaters Jakub Lorenc-Zalěski lesen und nutzen. Diese dürfte den literarischen Humus geliefert haben für jene großangelegten Sammlungen sorbischer Dichtung, für die Kito Lorenc auch als Nachdichter verantwortlich zeichnet: „Sorbisches Lesebuch“ 1981 und „Das Meer Die Insel Das Schiff“ 1994. „Eigentlich bin ich der Sohn meiner Großeltern.“ Ab 1952 besuchte er die sorbische Internatsschule Cottbus, studierte 1956-1961 Slawistik an der Universität Leipzig, war Mitarbeiter am „Institut für sorbische Volksforschung“ und Dramaturg am Bautzner Deutsch-Sorbischen Volkstheater. Doch seine Passion ist die Dichtung, seinen Dichternamen leitete er vom Großvaternamen ab. „Gedichte geschrieben habe ich etwa seit meinem 12. Lebensjahr ununterbrochen, zunächst deutsch, später immer mehr auch sorbisch.“ 1961 debütierte er mit dem Bändchen „Nowe časy – nowe kwasy“ („Neue Zeiten – neue Hochzeiten, Gedichte aus den Studentenjahren“).</p>
<p style="font-family: "Times New Roman"; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Zweisprachigkeit wurde Kito Lorenc zum poetischen Programm, „zu einem widerspruchsvollen Dauer- und Wechselverhältnis der Anziehung und Abstoßung, von Lust und Last“. Deutlich werden diese Spannungen, wenn man Lorenc' Odyssee durch die Verlage bedenkt: Aufbau Berlin, Kinderbuchverlag, Reclam Leipzig, buch&media München, Wieser Klagenfurt. Einzige Konstante ist der Bautzener Domowina-Verlag, der nahezu alle seine sorbischsprachigen Bücher publiziert hat. Bis heute hat kein deutscher Verleger Kito Lorenc die Treue gehalten. Jetzt präsentiert die „Bibliothek Suhrkamp“ eine Auswahl seiner deutschen Gedichte, eingerichtet und mit einem freundschaftlich warmherzigen Vorwort versehen von Peter Handke. Vom frühen Beginn mit den an Johannes Bobrowski geschulten programmatischen Gedichten „Die Struga“ und „Lieder aus Slěpe“, über die „Popanz“-Gedichte der späten 1980er Jahre bis in jüngste Zeit spannt sich der Bogen. Vollständig ausgespart bleiben Beispiele visueller Poesie, nur vereinzelt rumoren sprachspielerische Momente: „Zwei Völker sind unvollkommen/ein Volk ist unvollkommen/ein halbes Volk ist unvollkommen/kein Volk ist vollkommen“.</p>
<p style="font-family: "Times New Roman"; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Zeitgleich legt der Domowina-Verlag eine zweisprachige Sammlung „Essays, Gespräche, Notate“ von Kito Lorenc vor. Hier zeigen sich der theoretische Unterbau Lorencscher Poetologie, sein unermüdlicher Wille zum Bewahren sorbischer Geschichte und Geschichten, seine feinsinnige Selbstironie. „Noch weniger als Nationalitäten interessieren mich nur Parteien. Am liebsten mag ich Klavier (Kaviar überhaupt nicht), spanisches Ferkel und ungarischen Gulasch.“</p><p style="font-family: "Times New Roman"; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">(Erschienen in Sächsische Zeitung, 04.03.2013)</p></div><div class="page" title="Page 1"><br /></div><table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: right;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEj5XLPCul4bYtwTizXUyVExRnuHAEhyz1hGvu7upeBh2en-H_GBKGo0t7h8TxcuZfa9poQGWlW7VjKSPMiUhoVEmOdFbAF7LJPk4nO9i_gENm7-lDoNpnal9JNMCqyRK9S_j1PKfhh67Vn5Q9gNl7wpoOgup8cwWmxkfUZXkf7iljJ5rpXcH_cFI0BlUpM/s640/Juni%202017.jpg" style="clear: right; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="480" data-original-width="640" height="240" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEj5XLPCul4bYtwTizXUyVExRnuHAEhyz1hGvu7upeBh2en-H_GBKGo0t7h8TxcuZfa9poQGWlW7VjKSPMiUhoVEmOdFbAF7LJPk4nO9i_gENm7-lDoNpnal9JNMCqyRK9S_j1PKfhh67Vn5Q9gNl7wpoOgup8cwWmxkfUZXkf7iljJ5rpXcH_cFI0BlUpM/s320/Juni%202017.jpg" width="320" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Im Frühlingsgarten zu Wuischke Juni 2017 (c) A. Hampel</td></tr></tbody></table><br /><div class="page" title="Page 1"><br /></div></div>Michael Wüstefeldhttp://www.blogger.com/profile/06133041552877944525noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-247670106551671439.post-10581965457456768512021-02-08T16:25:00.003+01:002021-02-12T14:42:05.077+01:00<p> </p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://1.bp.blogspot.com/--JIxwEtZxuo/YCFP3lFMN4I/AAAAAAAAA0E/r4ZNgG6pvZsntd1m9x0PboyyGwT11SfwgCLcBGAsYHQ/s807/Bildschirmfoto%2B2021-02-08%2Bum%2B15.43.19.png" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="807" data-original-width="534" height="320" src="https://1.bp.blogspot.com/--JIxwEtZxuo/YCFP3lFMN4I/AAAAAAAAA0E/r4ZNgG6pvZsntd1m9x0PboyyGwT11SfwgCLcBGAsYHQ/w212-h320/Bildschirmfoto%2B2021-02-08%2Bum%2B15.43.19.png" width="212" /></a></div><p></p><table cellpadding="0" cellspacing="0">
<tbody>
<tr>
<td style="margin: 0.5px; width: 683px;" valign="middle">
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;"><span style="-webkit-font-kerning: none; font-kerning: none;">Noch als die Einladungskarten zur Buchpremiere verschickt wurden, war ich skeptisch. Aber der Abend des 02. September im Jahr der Doppelzwanzig und im Garten der Villa Augustin belehrte mich eines Besseren. Freunde, Familie, Kollegen waren gekommen. Typograph und Verleger Manfred Richter war gut bei Stimmung, Wulf Kirsten in guter Form und Verfassung, Sopranistin Nicolle Cassel gut bei Stimme, Geiger Steffen Gaitzsch gut besaitet, Hausherrin Andrea O’Brien eine gute Gastgeberin, die riesige Platane prächtiges Schutzschild. Der Abend ging in gleichen Teilen durch drei. EINS: Gespräch Kirsten - Wüstefeld. ZWEI: Aufführung von „Kleine Schmunzette für Sopran mit Verpflichtung zur Triangel und für Violine mit Verpflichtung zum Gesang nach Texten von M.W.“ im Beisein des Komponisten Frank Petzold. DREI: Lesung aus „Gegenwärtige Vergangenheit“. Um sieben ging’s los, um acht war’s vorbei. Mehr zum Buch in der Bücher-Rubrik.</span></p>
</td>
</tr>
</tbody>
</table><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://1.bp.blogspot.com/--OQTo-k_9g4/YCFVbnVNp9I/AAAAAAAAA0U/qm-J9YI-FPgwhJPXBwHZLtfp5Qzx0j0qACLcBGAsYHQ/s320/IMG_1774.jpeg" style="clear: left; display: inline; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><img border="0" data-original-height="320" data-original-width="240" height="320" src="https://1.bp.blogspot.com/--OQTo-k_9g4/YCFVbnVNp9I/AAAAAAAAA0U/qm-J9YI-FPgwhJPXBwHZLtfp5Qzx0j0qACLcBGAsYHQ/w240-h320/IMG_1774.jpeg" width="240" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><div style="text-align: left;">Wulf Kirsten und Wolfgang Petrovsky: AUSVERKAUFT! </div><div style="text-align: left;">Foto privat</div><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: right; margin-left: 1em; text-align: right;"><tbody><tr></tr></tbody></table></td></tr></tbody></table><div><table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: right; margin-left: 1em; text-align: right;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://1.bp.blogspot.com/-pB4u_s_3tpQ/YCFWWsLmCmI/AAAAAAAAA0o/U2vnhto95yYcorXnxA-Erby9RvZWt1RTACLcBGAsYHQ/s320/Micha%2Bu.%2BWulf-Ka%25CC%2588st-Museum.jpeg" style="clear: right; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="320" data-original-width="240" height="320" src="https://1.bp.blogspot.com/-pB4u_s_3tpQ/YCFWWsLmCmI/AAAAAAAAA0o/U2vnhto95yYcorXnxA-Erby9RvZWt1RTACLcBGAsYHQ/w240-h320/Micha%2Bu.%2BWulf-Ka%25CC%2588st-Museum.jpeg" width="240" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Im Gespräch, Foto (c) Kohlert<br /><br /><br /><br /><br /></td></tr></tbody></table> </div><div></div><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: right; margin-left: 1em; text-align: right;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"> <a href="https://1.bp.blogspot.com/-SudqsYOfEC4/YCFXb0LQ-MI/AAAAAAAAA04/ZHyGWgzgIco-Y5yy7qixOI17diFDmDuwwCLcBGAsYHQ/s320/DSCF2946.jpeg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="240" data-original-width="320" src="https://1.bp.blogspot.com/-SudqsYOfEC4/YCFXb0LQ-MI/AAAAAAAAA04/ZHyGWgzgIco-Y5yy7qixOI17diFDmDuwwCLcBGAsYHQ/s0/DSCF2946.jpeg" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">von links: M.W., O'Brien, Richter, Kirsten, Foto (c) Ch.Kuhn</td></tr></tbody></table><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://1.bp.blogspot.com/-pYYEsX0sBIY/YCFVbm1uSOI/AAAAAAAAA0Q/6opVo6z7b_QxHj1XzwBJv4TMRP20VhqMgCLcBGAsYHQ/s320/Micha%2Bu.%2BWulf-Ka%25CC%2588st-Museum.jpeg" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><br /></a></div>Michael Wüstefeldhttp://www.blogger.com/profile/06133041552877944525noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-247670106551671439.post-57937750675467522962021-02-03T19:19:00.000+01:002021-02-03T19:19:09.974+01:00<p><b style="font-family: Helvetica; font-size: 14px;">Das Jahr der Doppelzwanzig</b></p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Weil persönliche Begegnungen mit Kollegen gezügelt worden waren, radle ich im Sommer diverse Taladressen ab, um die nach Lagerräumung bei mir gestrandeten „KinoGeschichten“ zu verteilen. Motto: Können wir den Autor nicht treffen, lesen wir wenigstens seine Geschichten. Die meisten Kollegen waren erfreut. Die meisten fragten auch, warum ich nicht geklingelt habe. Ja, warum wohl?</p><p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Zu den Entfernungsausnahmen gehörte ein später Augusttag. Fahrt nach Erfurt, dieses Mal motorisiert, um einen Freund mit 50 (in Worten: FÜNFZIG) Exemplaren „KinoGeschichten“ zu beliefern. Es dauerte kein halbes Jahr, und er hatte alle Bücher unter die Leute gebracht. Ein Freund eben - wie er buchstäblich im Buche steht.</p><p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;"><br /></p><table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://1.bp.blogspot.com/-zhVTxNCohd0/YBrorDUEQqI/AAAAAAAAAzM/uOLztD2ChwY7jSPhwOPUG9fnIvyzBIoBwCLcBGAsYHQ/s2048/20200824_120330.jpg" imageanchor="1" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="2048" data-original-width="1536" height="320" src="https://1.bp.blogspot.com/-zhVTxNCohd0/YBrorDUEQqI/AAAAAAAAAzM/uOLztD2ChwY7jSPhwOPUG9fnIvyzBIoBwCLcBGAsYHQ/w240-h320/20200824_120330.jpg" width="240" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Vor der Freundestür, Foto (c) privat</td></tr></tbody></table><br /><p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;"><br /></p>Michael Wüstefeldhttp://www.blogger.com/profile/06133041552877944525noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-247670106551671439.post-49651116849841365862021-02-03T18:36:00.003+01:002021-02-07T11:12:34.835+01:00<p><span style="font-family: Helvetica; font-size: 14px;"><b>Zum 85. Geburtstag</b> des in Weimar lebenden Dichters Wulf Kirsten schenkte ihm seine Geburtsgemeinde Klipphausen bei Meißen einen „<a href="https://klipphausen.de/517-dichter-wanderweg-in-klipphausen">literarischen Wanderweg</a>“,</span><span style="font-family: Helvetica; font-size: 14px;"> </span><span style="font-family: Helvetica; font-size: 14px;">konzeptionelle Idee <a href="http://www.literaturland-thueringen.de/Veranstaltung/literaturland-thueringen-unterwegs-in-klipphausen/">Thüringer Literaturrat e.V.</a> mit Unterstützung des S. Fischer Verlages. Von Klipphausen durch das Tal der „Wilden Sau“ zur Neudeckmühle bis nach Röhrsdorf führt der Weg, an dem auf Metalltafeln 19 Gedichte von Wulf Kirsten zu lesen sind. Einweihung des Weges war am 23. Juni 2019 mit einer Feierstunde in Schloß Klipphausen. Ich durfte dem Freund die Festrede halten.</span></p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px; min-height: 17px;"><br /></p>
<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; margin-right: 1em; text-align: left;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://1.bp.blogspot.com/-w3yfM1eIWF8/YBrd9IAfSdI/AAAAAAAAAzA/DHMK9-9TXiwV93c1co0VgGBarwDU3YctQCLcBGAsYHQ/s2048/02_DSCF6279.JPG" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="1536" data-original-width="2048" src="https://1.bp.blogspot.com/-w3yfM1eIWF8/YBrd9IAfSdI/AAAAAAAAAzA/DHMK9-9TXiwV93c1co0VgGBarwDU3YctQCLcBGAsYHQ/s320/02_DSCF6279.JPG" width="320" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Vor der Feier, Foto (c) Tomas Gärtner<br /><br /></td></tr></tbody></table><p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px; min-height: 17px;"><b>Sieben Sätze über Wulf Kirsten</b></p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;"><b>ODER</b></p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;"><b>Sieben Wegmarken einer Freundschaft</b></p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px; min-height: 17px;"><br /></p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;"><b>Erster Satz - „mit meinesgleichen“</b></p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, einem Dichter zu begegnen? Für mich, der ich damals als Ingenieur mein Geld verdient habe, war unbezahlter Urlaub eine unabdingbare Voraussetzung, um Wulf Kirsten kennenlernen zu können. Als ich ihm schließlich das erste Mal begegnet bin, sah ich ihn als LektoratsMitarbeiter auf der anderen Seite. Das meint die räumliche Situation, in diesem Fall die andere Seite eines langen Konferenztisches. Der Tisch stand im Eibenhof zu Bad Saarow am Scharmützelsee. Das Lektorat des Aufbau-Verlages traf sich Mitte Januar 1987 mit 20 seiner Autoren, denen 12 Verlagsmitarbeiter gegenübersaßen. Keine Presse. Kein Protokoll. Neue Texte wurden gelesen, das Gelesene wurde diskutiert. Nur eine einzige Regel galt: die Debütanten mußten, die Gestandenen konnten lesen. Ich war Debütant. Während das Land die kältesten Nächte mit bis zu Minus 30 Grad über sich ergehen lassen mußte, ging mir, um es vornehm auszudrücken, der Hintern auf Grundeis. Während in der Lausitz die Braunkohle gefror, redeten wir uns die Köpfe heiß. Meine Kladde hält die für mich damals ungewöhnlichste Konstellation am Vierer-Abendbrottisch fest: Christa Wolf, Heinz Kahlau, Wulf Kirsten und Wüstefeld. Spätestens dann und als er nach der Lesung den Debütanten und seine Gedichte vehement begrüßte, wußte ich, daß Wulf Kirsten wohl immer auf Seiten der Dichter gewesen ist.</p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px; min-height: 17px;"><br /></p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;"><b>Zweiter Satz - „ich lob das dörfische gewerbe“</b></p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">13. Juni 1987 liest Wulf Kirsten auf Schloß Scharfenberg. Wir fahren gemeinsam mit der S-Bahn von Dresden nach Meißen. Am Meißner Bahnhof werden wir erwartet und in einem Geländewagen mit Karacho zum Schloß gefahren. Von wegen Schloß! Damals noch eine halbe Ruine. Während der Lesung sind himmlische Pyromanen am Werk, ein heftiges Gewitter geht nieder. Die Stimmen der Elemente sind stärker, als die Stimme des Dichters. Gespenstisches Intermezzo ohne Schloßgespenst. Halb elf geht mein Bus ab Haltestelle „Schachtberg“ zurück in den Dresdner Osten. In Kopf und Tasche die „erde bei Meißen“. Kurz darauf ein Brief aus Weimar, er habe auf Scharfenberg nur Texte gelesen, die ich schon kenne, deshalb lege er dem Brief etwas Neues bei. Auf blassem Durchschlagpapier ein dunkles Gedicht „stimmenschotter“, nach einer Rumänienreise: „wer aber, herr pfarrer,/wer soll uns begraben,/die wir hierbleiben?/fragen die alten/in den dörfern reihum.“ Waren mit diesen Versen von 1987 auch Klipphausen und die Dörfer reihum gemeint?</p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px; min-height: 17px;"><br /></p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;"><b>Dritter Satz - „verschwägert und verschwistert“</b></p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Gibt es statistische Untersuchungen darüber, wie viele Schriftsteller Meißen verträgt? Zu den Sächsisch/Baden-Württembergischen Literaturtagen im September 1991 hielten sich überdurchschnittlich viele dieser Sepzies in Meißen auf. 10 Tage lang buhlten 40 Autoren aus Ost und West ringsum den Burgberg um Aufmerksamkeit. Darunter Martin Walser, Peter Härtling und Günter Herburger; Helga Schütz, Rainer Kirsch und Manfred Streubel. Die Leseorte waren nicht so überfüllt wie nach den Lesungen die Gaststätten. Ob Porzellan zerschlagen oder eine Fummel zerdrückt worden ist, steht nicht in den Annalen. Was jedoch verbrieft ist, auch Wulf Kirsten nahm an den Literaturtagen teil. Wir nutzten einen Nachmittag, um über und durch seine Dörfer zu fahren. Ein Fiat Tipo und Rolfrafael Schröer vervollständigten das Pfadfinderquartett. Entlang der Feldraine und querfeldein kannte sich Wulf Kirsten besser aus als auf den Straßen. Einmal bretterten wir mit dem Fiat in einen Feldweg hinein, so daß die geländetechnische Mühsal fast in allen Teilen (f.i.a.T. = Fiat) zu hören war. Abends fanden wir uns, Thomas Rosenlöcher kam noch hinzu, bei Vincenz Richter ein. Weinselig wurde eine Art Kettengedicht verfaßt und in das Gästebuch geschrieben. Ob Gedicht und Buch noch immer dort zu finden oder längst im Stadtarchiv aktenkundig sind, entzieht sich meiner Kenntnis.</p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px; min-height: 17px;"><br /></p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;"><b>Vierter Satz - „als eidotter in stiller einfalt“</b></p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Einmal, das war schon im nächsten Jahrhundert, standen Wulf Kirsten und ich bei Kötzschenbroda am Fluß. Mag sein, wir sinnierten über Röhrichte und Seggenriede. Oder hatten es uns Schwanenblume und Seekanne angetan? Fanden wir gar Spitzkletten, die wir spielerisch auf den Rücken der Dichterfrauen platzierten? Vielleicht fragten wir uns auch, wer es von uns beiden vermochte, eine Butterbemme bis ans gegenüber liegende Ufer springen zu lassen. Womit wir beim Thema waren. Denn das „gegenüber liegende Ufer“ meinte ja die Linkselbigkeit. Mit ein wenig gesteigerter Vorstellungskraft konnten wir über den Niederwarthaer Hang hinweg bis Weistropp und Kleinschönberg blicken, und, wenn wir der sehnsuchtsvollen Weitsichtigkeit erlegen gewesen wären, gar bis Klipphausen. Dann plötzlich nahm uns ein Kuckuck das Wort aus dem Munde. Er rief und rief, daß es eine Lust war, seine Rufe zu zählen. Wie viele Jahre noch? Wollten wir das wirklich wissen? Als wir bis fünfzig gezählt hatten, entzückte uns das Ergebnis. Als wir aber bei hundert angelangt waren, brachen wir die Zählerei ab. Wir fragten uns sogar, ob uns ein Vogelstimmenimitator veralberte. Womöglich angeheuert vom Radebeuler Tourismusbüro sollte der falsche Kuckuck bei den Gästen für gute Stimmung sorgen, damit sie, ob der in Aussicht gestellten hohen Lebenserwartung, frohgemut die Gast- und Weinstuben frequentieren. Gleichwie. Nachdem wir den Kuckuck als falschen Fufzscher entlarvt hatten, kamen in der „Schwarzen Seele“ am Kötzschenbroder Anger süß-saure Flecke auf den Tisch.</p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px; min-height: 17px;"><br /></p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;"><b>Fünfter Satz - „ich garniere meine gedichte“</b></p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Mit „ich“ bin natürlich nicht ich gemeint. Kirsten-Leser wissen es längst, dieser Dichter baut seine Verse gern aus Wörtern, die kaum noch gesprochen oder nicht einmal mehr gekannt werden. Aber neben WortSchönheit gibt es auch WortWitz. Wenn Wulf Kirsten lospoltert, bleibt kein Auge trocken. „kandierte kandidatenpflaumen in der essigkruke gebadet … das weltbild auf sehschlitze gesundgeschrumpft … schaumschläger führen den rührbesen … was schon Goethe hat erkannt und gerochen vorzeiten: das durchaus scheißige dieser unserer zeitigen herrlichkeit auf erden … sei bedankt, lieber schwan, es lebe das zentralorgan … kanalräumerlehre abgebrochen wegen geistiger überanstrengung … elende gräpel, ihr, befrackte arschkriecher, scheißhunde, besoffen wie die radehacken … tief im scheibenkleister eingesunken, von winkelbankern eingewunken“. Genug der Beispiele! Ich begehre nicht, Schuld daran zu sein, wenn der literarische Wanderweg wegen ungebührlicher Polterei zurückgebaut werden muß. Aber angemerkt werden darf: auch das Poltern kann die Wegmarke einer Freundschaft sein.</p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px; min-height: 17px;"><br /></p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;"><b>Sechster Satz – „wie ein gemenge aus roggenschrot“</b></p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Jeder Wocheneinkauf gewährt mir nicht nur Einblick in unsere Überflußgesellschaft, sondern mein Blick streift auch ein Schild über der Auslage wohlgestalteter Brote und Brötchen: „Unser Bäcker aus Klipphausen“. Angesichts eines Bäckers auf die Spur eines Dichters zu geraten, gibt es etwas Besseres? Regelmäßig werde ich an Wulf Kirstens Brot-Episode aus den „Prinzessinnen im Krautgarten“ erinnert. Statt das in Meißen erstandene frische Pfundbrot zu Hause abzuliefern, verführten sein Duft und der Hunger dazu, auf dem Rückweg nach dem „Ränftel“, wie Wulf Kirsten erzählt, „Runksen um Runksen“ abzusäbeln und zu verschlingen, bis nichts mehr übrig war. Also frage ich mich, wenn zum Wocheneinkauf mein Blick über das Bäckerschild streift, was die große Gemeinde Klipphausen so groß gemacht hat. Bäcker oder Dichter? Oder ihr Bürgermeister? Und es hat den Anschein, als ob das Dichten, seit es diese Großbäckerei gibt, wenigstens in Klipphausen keine „brotlose Kunst“ mehr ist.</p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px; min-height: 17px;"><br /></p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;"><b>Siebenter Satz - „mit meinesgleichen“</b></p>
<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Dem Thüringer Literaturrat, als Spiritus Rector, ist es zu danken, daß wir jetzt, vielleicht nicht unbedingt mit dem Beutel auf dem Rücken und der Klampfe in der Hand, aber von Gedicht zu Gedicht wandern können. Dank gebührt der Gemeinde Klipphausen und auch dem S. Fischer Verlag. Ganz und gar gegenwärtige Lyrik wurde aus Dichters Kemenate hinaus ins Freie gestellt zur Feier jener Landschaft, die Gegenstand der Verse ist. Alle, die „die erde bei Meißen“ auf Schusters Rappen erkunden, können fortan zu Lesern und Leser zu Wanderern werden. Mögen sie, wie es bei Wulf Kirsten heißt, „im weichbild meiner dörfer … mit meinesgleichen/ein herz und eine seele“ sein. Lieber Wulf, ich gratuliere Dir zu dieser FlurgängerEhrung und zu Deinem Geburtstag. Komm, laß uns wandern gehen!</p>Michael Wüstefeldhttp://www.blogger.com/profile/06133041552877944525noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-247670106551671439.post-90059566172487444222021-02-03T16:51:00.000+01:002021-02-03T16:51:40.419+01:00<p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;"><b>Herta Günther (1934 - 2018)</b></p><p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Als die Dresdner Malerin 75 wurde, schenkte sie mir „zwei Weiber“. Als sie 80 wurde revanchierte ich mich mit einem „heimlichen Lächeln“. Zu ihrem 85. war sie nicht mehr da. Die <a href="http://www.galerie-himmel.de">Galerie Himmel </a>gedachte ihrer mit einer wunderbaren Ausstellung und einem opulenten Katalog unter dem Titel „C’est la vie“. Meine Hommage kann auf der <a href="http://www.galerie-himmel.de/de/Ausstellungen/Herta-Guenther/Laudatio_2.html">Homepage der Galerie</a> nachgelesen werden.</p><p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;"><br /></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://1.bp.blogspot.com/-MXjFQkRgA3U/YBrEoRWzNpI/AAAAAAAAAys/rYQdpNTsxAwtbjNtsBCZ5eaAMVqctu5BwCLcBGAsYHQ/s1280/Herta3.jpeg" imageanchor="1" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="1280" data-original-width="1242" height="320" src="https://1.bp.blogspot.com/-MXjFQkRgA3U/YBrEoRWzNpI/AAAAAAAAAys/rYQdpNTsxAwtbjNtsBCZ5eaAMVqctu5BwCLcBGAsYHQ/s320/Herta3.jpeg" /></a></div><br /><p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;"><br /></p><p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px; min-height: 17px;"><b></b><br /></p><p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;"><b>Das heimliche Lächeln</b></p><p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Zum Achtzigsten von Herta Günther</p><p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px; min-height: 17px;"><br /></p><p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Sie warten tagein, tagaus. Sie wissen nicht, worauf sie warten. Wir wissen es auch nicht. Sie sitzen auf Stühlen oder Sofas an runden Tischen in Cafés, Kneipen, Bars. Die Damen. Die Girls. Die Weiber. Vielleicht haben sie es auch längst aufgegeben und tun nur noch so, als würden sie warten. Sie lächeln lasziv. Sie rauchen Zigaretten mit und ohne Spitzen. Ihre Blicke verlieren sich aus großen Augen. Kuhaugen. Mondaugen. Mandelaugen. Ein wenig hängen die Lider. Schwer von Schatten senkt sich der eingeübte Schlafzimmerblick. Erotische Verführung oder Schläfrigkeit. Vermutlich wissen sie es selbst nicht so genau. Die Grazien. Die Schönen. Die Verblühten. Ihre Gesichter geschminkt. Sinnliche Lippen signalroter Schnuten. Ihre Nasen gepudert. Zumeist sind die auf </p><p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">runden Tischen stehenden Gläser halb leer. Mutmaßlich würde keine sagen, die Gläser seien halb voll. Wir auch nicht. Wir wünschten, es käme endlich irgendein Kavalier herbei, verbeugte sich, hielte ihnen seinen gewinkelten Arm hin, auf daß sie ihren Arm hineinlegen und mit dem Herrn davongehen. Aber keiner kommt. Egal ob Rosi Nante oder Eulalie, die kleine Traurige oder die Femme fatale, sie warten tagelang, wochenlang, manche auch jahrelang. Worauf bloß? Wozu nur? Sie warten wohl darauf, von Herta Günther gemalt zu werden.</p><p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px; min-height: 17px;"><br /></p><p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Treten Sie ein, meine Damen und Herren, in das Panoptikum der Malerin. Was Sie zu sehen bekommen, zeigt sich Ihnen ganz unmittelbar. Keine Verstellung, kein doppelter Boden, keine Schmuggelware. Jede Menge randläufige Etablissements und Existenzen. Ebenso unzeitgemäß, wie zeitlos in Mode. Als ob die Bilder lange schon zum Leben dazu gehören. Nichtalltägliches, vom Alltag absorbiert. Anfangs in ihrer verlockenden Farbigkeit ein Kontrapunkt zu grauem Einerlei und langweiliger Gleichmacherei. Bald aber alte Bekannte, mit denen jedes Wiedersehen neuerlich gefeiert wird. Gassen, Boulevards, Absteigen, Varietés, Bierstuben, Hafenschänken, Kaffee- und Wirtshäuser. Stille Trinker, prahlende Krakeeler, Zeitungsleser, Halbnackte und Volltrunkene, Halbbesoffene und Ganzakte, Passanten paarweise und allein. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Café. Am Nebentisch fällt Ihnen ein markantes Gesicht auf. Das habe ich doch schon mal gesehen, denken Sie. Plötzlich paßt zu dem Gesicht, das Sie vermeintlich kennen, auch das Interieur ringsherum. Selbst der etwas krumme Oberkellner und die ein wenig O-beinige Serviererin mit dem kleinen weißen Schürzchen passen ins Bild. Bis Sie verstehen, daß Sie ein Herta-Günther-Déjà-vu haben, sich mitten in einem Bild der Malerin befinden, im Café Günther, in Günthers Bierstube oder im Günthereck sitzen.</p><p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Zeichnen, wie es wirklich ist. Malen, was zu sehen ist. Freunde und Bekannte sollen den Günthers gelegentlich Fotos gebracht haben, auf denen Personen zu sehen sind, die den Figuren der Malerin gleichen. Oder die noch gar nicht gemalt waren, es aber, ob ihres Aussehens, wert seien, demnächst gemalt zu werden. Herta Günther malt nicht vorm Modell. Auch fotografiert sie keine potentiellen Modelle, um sie hernach abzumalen. Höchstens fotografiert sie mit dem Kopf. Selten wird unterwegs skizziert. Ab und zu werden Farben, Licht, Formen in Stichwörtern festgehalten. Gemalt aber wird aus der Erinnerung. Die Gesichter Revue passieren lassen. Physiognomien aus der Sammlung Günther. Nicht so abgründig verwissenschaftlicht wie beim Schweizer Pastor Lavater, der im 18. Jahrhundert mit seinem vierbändigen Werk "Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe" für Furore sorgte. "Menschenkenntnis" und "Menschenliebe" freilich finden sich bei Herta Günther zur Genüge. Ihre Figuren gibt sie nicht der Lächerlichkeit preis. Es sei eine Schule des Sehens, sagt die Malerin. Für sie wie für das Publikum. Eine Sichtweise annehmen, die die Andersartigkeit und das Andersaussehen zu akzeptieren vermag. Nicht nur abschätzig die verrückten Typen sehen. Am ehesten läßt das Günthersche Gesichteralbum an den italienischen Regisseur Fellini denken, der nach eigenen Auskünften "alle Gesichter dieses Planeten" sehen, ein Gesicht "mit allen Gesichtern, die es überhaupt geben kann" vergleichen wollte. Jedoch die Vergleiche hinken. Deshalb reden wir gar nicht erst von Herta Günthers Lehrern, nicht von den Vorlieben und ebenso wenig von Albert Ebert. Schon gar nicht wollen wir Vorbilder bemühen. Eigenartig. Das Wort "Vorbild" erfährt hier seine eigentliche, wortwörtliche Bedeutung. Können doch "Vorbilder" diejenigen Bilder sein, die vor den eigenen Bildern stehen, zu Vorzeiten, also vorher entstanden sind.</p><p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px; min-height: 17px;"><br /></p><p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">Aber Herta Günthers Vorliebe zum Laissez-faire, ihre Paristräume und Ungarnfahrten könnten thematisiert werden. Wie auch die Vielfalt der Kopfbedeckungen, die wir in ihren Bildern zu sehen bekommen. Als ob die Malerin im Zweitberuf Putzmacherin oder, wie es eleganter heißt, Modistin wäre. Schlapphut und Klapphut. Glockenhut und Filzglocke. Breitkrempiger Sommerhut und asymmetrischer Winterfilz. Walkmütze und Kreissäge. Florentiner und Barett. Lady Flapper und Fedora. Gatsby Kappe und Ballon Cap. Auch die Exoten fehlen nicht. Etwa der Damentoque, was eine weiche Kopfbedeckung ohne oder mit schmaler, aufgerollter Krempe meint. Oder der Trilby, der ein kompakter Hut ist, mit dünner, hinten verstärkter und nach oben gebogener Krempe sowie beidseitigen Einbuchtungen im vorderen Kopfteil. Selbst der so genannte Anlaßhut findet sich, ein für besondere Anlässe gefertigtes Kunstwerk, zumeist mit Federn oder Blumen geschmückt. Jedes Lächeln, und wenn es noch so heimlich ist, fühlt sich in besonderer Weise behütet. Aber was ist mit den Männern, was mit den Stadtlandschaften, den Kneipenlandschaften? Wer Jürgen Günther, den Mann der Malerin, den Comiczeichner und "Vater" von "Otto & Alwin" kennt, weiß, wie gern sie ihn durch ihre Bilder huschen läßt. Einmal entdeckt, sucht man ihn auf jedem anderen Bild. Das könnte zum Spiel ausarten, gleich der Enträtselung von Vexierbildern. Häufig belebt er in Rückenansicht einsame Straßen oder Elbuferwege oder er gesellt sich zu den Wartenden in irgendeiner Kneipe. Wer meint, Kneipen, die diesen Stempel wirklich verdienten, habe es zu Zeiten von HO und KONSUM gar nicht gegeben, irrt gewaltig. Mag sein, es war kein "Café de Flore" dabei, keine "Deux Magots" und kein "Café de la Paix". Aber verrucht und verraucht konnte es gerade auch hierorts zugehen. "Konzert-Klause" und "Erlenklause". "Höhle's Bierstuben" und "Schäfer-Eck". "Narrenhäusel" und "Neustädter Faß". "Grüne Schänke" und "Hafenschänke". "Konzertcafé" und "Mokkastube". "Goldquelle" und "Goldenes Hufeisen". Auch wenn die von Herta Günther ins Bild geholten Kneipen meistens ungenannt bleiben, es sogar ungewiß ist, ob sie überhaupt dresdnerisch sind, hat sie uns wenigstens eine Ahnung davon bewahrt. Aber was ist nun mit den Männern? Wenn sie nicht gerade einen Kümmel trinken, halten sie sich im Bildhintergrund auf, wirken mißmutig und verschlagen. Es scheint, als stünden sie dieser Wucht weiblicher Farbigkeit äußerst skeptisch gegenüber. Sie sind Kneiper, Kellner, Schiffer, Jazzer, Klavierspieler. Sollte unter ihnen, bei aller Unwahrscheinlichkeit, doch einmal einer sein, der sich die Seele aus dem Leib fiedelt, müssen wir nicht mehr nur an das Erich-Kästner-Gedicht "Stehgeigers Leiden" denken: "Ach, wie gern läg ich in meinem Bette!/Nacht für Nacht schläft Hildegard allein./Wenn mein Fiedelbogen Zähne hätte,/sägte ich die Geige kurz und klein." Geraume Weile schon erinnern uns auch Herta-Günther-Bilder an den selten gewordenen Berufsstand dieser kleinen Möchtegern-Paganinis.</p><p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px; min-height: 17px;"><br /></p><p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">In der Wahl ihrer Ateliers liebt Herta Günther die Vogelperspektive. Viele Jahre hoch über Altmarkt und Wilsdruffer. Als die noch nach Ernst Thälmann hieß und Aufmarschstraße war, konnte sie von dort die Paraden abnehmen, wenn unten Erster Mai und Tag der Republik vorbeirollten. Trotzdem kamen "Winkelemente" aller Art nicht in Frage. Später die Ateliermansarde in Pieschen, von wo der Blick zu Hafenmole, Ostragehege, altstädtischer Silhouette und Lößnitz schweift. Jüngst in Dresden Mitte, neunte Etage, wurde ihr ein Balkon mit Südblick zuteil, übern Bahndamm hinweg rückt es den Freitaler Windberg ins Bild. Stellen wir uns ein Ereignis vor, das weniger traumatisch aber immerhin traumähnlich über die Lebensbühne gehen könnte. Eines schönen Tages kommen die Modelle, um ihre Malerin zu besuchen. Weil es ein paar Hundert sein dürften, würden sie das Treppenhaus über alle neun Etagen bevölkern. Eine Polonaise à la française und Herta in der Neunten säße verschmitzt in einer Chaise à la Louis seize. Bis hinab auf die Straße schlängelte sich die Pracht, eine Woge roter Haare, ein Defilee knalliger Münder wäre das. Sie kämen, um zu plaudern, zu tratschen, zu munkeln. Das wäre ein Zwitschern, Zirpen, Jubilieren. Sie nähmen Tee, Kaffee oder Frappé, hier ein Pralinee, dort ein Baiser, da ein Kanapee mit Wollhandkrabbengelee oder gleich ein Soufflé aus Kichererbsenpüree. Manch eine suchte überschwänglich Trost an der Schulter der Malerin und bekäme reichlich davon, immerhin gehören sie alle zur Familie. Die eine oder andere entdeckte an den Wänden ihr gerahmtes Konterfei, bewunderte den eleganten Strich, die schwungvolle Kontur, den gekonnten Farbauftrag. Dann zückte sie verstohlen ihre Puderdose, vergliche verschämt im Dosenspiegel Kopie mit Original. Im Hintergrund stünde für den Fall der Fälle der Mann der Malerin bereit und sagte ab und zu: "Kinder, wie die Zeit vergeht". Gelassen und wenig imponiert von allem Trubel folgt Herta Günther unverdrossen ihrem Stil, ihren Motiven, den Erinnerungen und Träumen. Sie beeindruckt damit, wie sie unbeeindruckt bleibt von ehemals ewiggestrigen Realismusvorgaben, abstrakter Besserwisserei, kopfstehender Angeberei oder bis heute unausrottbaren Marktregeln. Wo Herta Günther draufsteht, gibt es Menschenkinder mit auffallenden Frisuren, melancholisch blickenden Augen, üppigen Nasen, und immer wieder springt ein Lächeln aus den Bildern heimlich auf unsere Lippen.</p><p>
</p><p style="font-family: Helvetica; font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; margin: 0px;">(erschienen im Katalog „Lebensspuren“, Galerie Leo Coppi, Berlin 2014)</p><div><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://1.bp.blogspot.com/-fkzeZccbSL4/YBrFYLGseII/AAAAAAAAAy0/Ba6HG8gRDokm2DwlLLeDwSkMz6LMgjKpACLcBGAsYHQ/s1280/Herta1.jpeg" imageanchor="1" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="1280" data-original-width="890" height="320" src="https://1.bp.blogspot.com/-fkzeZccbSL4/YBrFYLGseII/AAAAAAAAAy0/Ba6HG8gRDokm2DwlLLeDwSkMz6LMgjKpACLcBGAsYHQ/s320/Herta1.jpeg" /></a></div><br />Michael Wüstefeldhttp://www.blogger.com/profile/06133041552877944525noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-247670106551671439.post-61924160099426387862018-01-31T16:39:00.000+01:002018-02-06T09:44:04.724+01:00<div dir="ltr" style="text-align: left;" trbidi="on">
<div style="font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal;">
<b><span style="font-family: "helvetica neue" , "arial" , "helvetica" , sans-serif;">Elmar Faber (1934 - 2017)</span></b></div>
<div style="font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal; min-height: 17px;">
<span style="font-family: "helvetica neue" , "arial" , "helvetica" , sans-serif;"><br /></span></div>
<span style="font-family: "helvetica neue" , "arial" , "helvetica" , sans-serif;"><br /></span>
<br />
<div style="font-size: 14px; font-stretch: normal; line-height: normal;">
<span style="font-family: "helvetica neue" , "arial" , "helvetica" , sans-serif;">Zu seinem 80. Geburtstag schrieb ich ihm, daß er mein einzig wirklicher Verleger gewesen ist. Gut eine Dekade durfte ich mich zu den Aufbau-Autoren rechnen. Erst sieben Jahre die Wartebank des Verlages gedrückt, nach dem Debüt bis 1994 die Verlagsprogramme geschmückt. Als die Verträge aufgelöst wurden, war Elmar Faber längst nicht mehr am und an Aufbau beteiligt. Er und ich hatten um etliche meiner Verse gestritten. Er mißbilligte meine Beteiligung an einer im „Westen“ erscheinenden Anthologie. Er hatte das Manuskript meiner Armee-Erinnerungen („Nackt hinter der Schutzmaske“) drei Jahre schmoren lassen, bis es bei seiner Veröffentlichung 1990 zu spät kam. Trotzdem denke ich, wenn ich an ihn denke, daß er mein einzig wirklicher Verleger gewesen ist.</span></div>
</div>
Michael Wüstefeldhttp://www.blogger.com/profile/06133041552877944525noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-247670106551671439.post-73451498330907887922018-01-31T15:47:00.000+01:002018-01-31T15:48:55.006+01:00<div dir="ltr" style="text-align: left;" trbidi="on">
<div style="line-height: 150%; margin-bottom: 0cm;">
<b>J.R.B.Th.
nachgerufen 1949 - 2017</b></div>
<div style="line-height: 150%; margin-bottom: 0cm;">
<a href="https://www.blogger.com/null" name="firstHeading"></a>
<span style="font-weight: normal;">Das erste Mal trafen wir
aufeinander im Klubhaus des Kombinats VEB Pentacon, </span><span style="color: black;"><span style="font-style: normal;"><span style="font-weight: normal;">Schandauer
Straße, </span></span></span><span style="font-weight: normal;">heute
„</span><span style="color: black;"><span style="font-style: normal;"><span style="font-weight: normal;">Medienkulturzentrum“</span></span></span><span style="font-weight: normal;">.
Das muß 1971 gewesen sein. Beide gehörten wir dem dort monatlich
tagenden „</span><span style="font-weight: normal;">Zirkel
Schreibender Arbeiter“ an. Was das für ein „Klub“ war, wie wir
in ihn hinein gerieten, sei dahin gestellt. Man traf sich, um selbst
verfaßte Texte vorzulesen und darüber zu reden. Jedenfalls war
Bernhard Theilmann der Einzige vom Typ „Arbeiter“. Nicht im Sinne
von „Greif zur Feder, Kumpel!“, vielmehr von der Sorte „Alle
Räder stehen still, wenn mein starker Arm es will“. Genauso
diskutierte er. Kraftvoll, bedingungslos, ohne Rücksicht auf
Verluste. Bei unserer ersten Begegnung stellte er „Unter den
Rädern“ zur Diskussion, steht in meiner Kladde, was wohl ein
Gedicht gewesen sein wird, heute verschollen, wie so vieles, weil er
es verworfen, weggeworfen hat. Als es Ende 1974 hieß, das
„literarische Volksschaffen“ (O-Ton DDR-Kulturpolitik) müsse
weiterentwickelt werden, wurden auch wir entwickelt, stiegen auf,
wurden in eine „Fördergruppe Schreibender Arbeiter“ delegiert.
Auf der Gruppen-Liste fanden sich Namen wie Manfred Streubel und
Thomas Rosenlöcher, auch Herbert Schirmer, der 1990 letzter
DDR-Kulturminister werden sollte. Uns beschlich vorsichtiger Stolz.
Wohin aber sollten wir befördert werden? Auf die Höhen des Parnass?
Oder in die Bredouille? Letzteres kam prompt. Als wir 1976
nachdrücklich und unüberhörbar gegen Biermanns DDR-Ausbürgerung
stimmten, wurden wir hinauskomplimentiert. „Wir bitten Sie, dafür
Verständnis zu haben, daß wir auf eine weitere Mitarbeit Ihrerseits
verzichten müssen.“ Unser Verständnis hielt sich in Grenzen. Fast
packte uns darob unvorsichtiger Stolz. N</span>ach dem Rausschmiß
betrieben wir unseren eigenen Zirkel in der Theilmann-“Kneipe“ am
Wolf-Platz. Nur er und ich. Nicht immer ging es um unsere Texte, aber
meistens ging es hoch her. J.R.B.Th. kritisierte maßlos. Klare
Ansagen, was mit Ach und Krach ging, was nicht ging und was gar nicht
ging. In dieser Reihenfolge. Ich war vorsichtiger, denn was ich gut
fand, schmiß er weg. Woran ich wagte, herumzunörgeln, hob er auf,
weil er es plötzlich interessant fand. Fast wünschte ich mir heute,
eine kleine Wanze hätte mit uns auf der den Kneipentisch dreiseitig
umlaufenden Bank gesessen. Dann wären ein paar seiner Texte
akustisch bewahrt geblieben, vorgetragen mit dem ihm eigenen Idiom.
Auch einige unserer hochfliegend tiefschürfenden Pläne. Als wir
noch gut bei Humor waren, konnten wir regelmäßig über Nachrufe auf
bekannte Künstler oder Politiker lästern. Die Gesetzmäßigkeit
schien darin zu bestehen, je übersteigerter ins Übermenschliche
nachgerufen wurde, umso schlechter waren Kunst oder Politik des
„teuren Toten“. Damals schworen wir, für unser Ableben
vorzusorgen, uns Nachrufe in verschiedenen Varianten selbst zu
schreiben und die Texte dem jeweils anderen zu überlassen, damit
dieser sie aus der Schublade ziehen könnte, wenn es soweit wäre.
Wir sind meineidig geworden, haben uns nicht an den Schwur gehalten.
Ich hätte J.R.B.Th. rechtzeitig daran erinnern sollen.</div>
<div style="line-height: 150%; margin-bottom: 0cm;">
(veröffentlicht in: SAX 10/2017)</div>
<div style="line-height: 150%; margin-bottom: 0cm;">
<br /></div>
<table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left; margin-right: 1em; text-align: left;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://1.bp.blogspot.com/-b75N4XifHis/WnHWYX2KxwI/AAAAAAAAAic/NICoITR4xisF1y_iIrAmYXI-Wc60LDIZQCLcBGAs/s1600/IMG_0777.jpg" imageanchor="1" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="1600" data-original-width="1215" height="400" src="https://1.bp.blogspot.com/-b75N4XifHis/WnHWYX2KxwI/AAAAAAAAAic/NICoITR4xisF1y_iIrAmYXI-Wc60LDIZQCLcBGAs/s400/IMG_0777.jpg" width="302" /></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Silvester 1982/83 - Lesung aus Jandls "Humanisten" (Foto: B. Lorenz)</td></tr>
</tbody></table>
<div style="line-height: 150%; margin-bottom: 0cm;">
<br /></div>
</div>
Michael Wüstefeldhttp://www.blogger.com/profile/06133041552877944525noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-247670106551671439.post-34969126224815913322015-06-23T21:52:00.003+02:002015-06-23T21:52:38.176+02:00<div dir="ltr" style="text-align: left;" trbidi="on">
Zur Erinnerung an Jürgen Günther (1938-2015) ein Foto aus besseren Tagen des Jahres 2010 sowie einen Text, den ich zu seinem 75. Geburtstag geschrieben habe. Bis auf den letzten Satz nehme ich nichts zurück. Wir sind uns doch zu spät begegnet.<br />
<br />
Ein Wort zuvor als Gruß<br />für Jürgen Günther<br /><br />Oft passiert es kurz nach dem Vorspann, meistens in einem filmischen „Wimmelbild“, in einer Minisequenz. Hitchcock höchstselbst läuft durch das Bild. Urplötzlich taucht er auf. Sein kahler Kopf, aber auch die gedrungen gewichtige Gestalt des Meisters blitzen unverkennbar ins Zuschauerauge. Unwillkürlich kann daraus ein Spiel werden. Einmal entdeckt und gesehen, sucht der Zuschauer immer wieder angespannt nach dem Mondgesicht. Punkt, Punkt, Komma, Strich.<br />Ich wußte nicht, daß ich Jürgen Günther kannte, bevor ich ihn kennen lernte. Seinen zumeist mit dunkler Baskenmütze bedeckten Kopf, aber auch diese leicht gedrungene Figur mit dem angedeuteten Rundrücken. Woher bloß war mir diese Gestalt vertraut? Richtig. Beim Blättern in einem Ausstellungskatalog kam ich endlich drauf. (Zwischenfrage: Dürfen Bilder von Herta Günther erwähnt werden, wenn es um den Zeichner Jürgen Günther geht? Zwischenantwort: Um zu einem Zeichner zu finden, bedarf es mitunter Zeichen und Wunder.) Höchstselbst taucht er in etlichen Bildern von Herta Günther auf. Zumeist verwinzigt, ein Schatten inmitten von Passanten, windschief in vereinsamten Gassen, ein Husch, angedeutet nur, allerhöchstens Achtelprofil, wenn überhaupt, sonst von hinten. Im langen Mantel auf verschneiter Augustusbrücke, als sie noch Georgi-Dimitroff-Brücke hieß. In Dünenlandschaft, die Hände in den Jackentaschen vergraben. Im weißen Hemd in der Hafenstraße, Hände tief in die Hosentaschen gegraben. Vorm Pieschener Hafen am Elbufer sitzend. In einer Kneipe mit großem Bier. Am Schießhaus auf dem Fahrrad. Einen Weinkeller betretend. Als Angler am Fluß. Auf verschneiter Mole. In Hoher Gasse zu Meißen. Bei der Markuskirche im Schnee. Und wie ertappt, weil ein einziges Mal doch Halbprofil, in der Künstlerkneipe, roter Schnurr- und Kinnbart, stattliche Nase rötlich schimmernd, im Auge den Schalk, das Lieblingsgetränk leider nicht im Bild. Was trinkt ein Comic-Zeichner? Gibt es berufsbedingte Vorlieben?<br />Lange vor mir war mein Sohn zu Besuch im Günther-Atelier. Das nannte man im vorigen Jahrhundert „Überholen, ohne einzuholen.“ Mich hat es zum eigenen Besuch angestachelt. Dann sitzen wir uns endlich gegenüber. Herta neben Jürgen Günther oder andersherum. Immer habe ich entweder oder gedacht. Jetzt begriff ich, der Zeichner ist ohne die Malerin nicht denkbar und umgedreht. (Noch eine Antwort auf obige Zwischenfrage: Wem es an dem Zeichner J.G. gelegen ist, der wird früher oder später die Bilder von H.G. erwähnen.) Sitzen uns gegenüber im Atelier am Altmarkt. Das gibt es zwar nicht mehr, ist aber in die Comic-Geschichte eingegangen. „Dort, wo das Licht brennt, sind wir geboren“, sagte Otto zu Alwin, als sie in einem gekaperten Sportflugzeug über dem Karree der Altmarkthäuser kreisten.<br />Nein, ich wußte nicht, daß ich Jürgen Günther kannte, bevor ich ihn kennen lernte, daß mit ihm gut essen, gut trinken und noch besser lachen ist. Noch bevor ich der verschwommenen Gestalt in den Bildern der Malerin auf die Schliche kam, waren es seine Adventskalender, die ich mit meinen fröhlich sein und singen wollenden Kindern zusammenbastelte, um Fenster für Fenster in die gewitzte Günther-Welt hinein- und aus unserer hinausschauen zu können. Reuelos gebe ich zu, den Namen des Kalender-Erfinders nicht gekannt zu haben. Mitleidlos gedenke ich der vielleicht lästigen Umstände, wenn bei Günthers wegen jahrelanger Entwicklung der FRÖSI-Adventskalender immerzu Weihnachten war. Anstandslos gestehe ich, daß wir uns spät begegnet sind. Aber zu spät auch nicht.<br />
<br />
<br />
(veröffentlicht in: "<b>OTTO UND ALWINs großes Fest</b> für Jürgen Günther, Holzhof Verlag, Dresden 2013)<br />
<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
<a href="http://1.bp.blogspot.com/-ozDk0iFXlyE/VYm33S5KMrI/AAAAAAAAAYI/Bj5_X9-7XnU/s1600/aus%2Bbesseren%2BTagen.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" height="320" src="http://1.bp.blogspot.com/-ozDk0iFXlyE/VYm33S5KMrI/AAAAAAAAAYI/Bj5_X9-7XnU/s320/aus%2Bbesseren%2BTagen.jpg" width="288" /></a></div>
<br /></div>
Michael Wüstefeldhttp://www.blogger.com/profile/06133041552877944525noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-247670106551671439.post-12857195721486388002015-04-19T21:41:00.003+02:002015-04-19T21:44:22.447+02:00Günter Grass (1927-2015)<div dir="ltr" style="text-align: left;" trbidi="on">
Die Häme darüber, daß auch Nobelpreisträger Grass ins Gras beißen mußte, hält sich in Grenzen. Vielleicht weil Schirrmacher auch tot ist. Als Grass 1999 der Nobelpreis zugesprochen wurde, saß ich im Künstlerkloster des pfälzischen Edenkoben. Noch in der Nacht der Bekanntgabe entstand ebenso schnell wie spontan das folgende Gedicht.<br />
<br />
<b>Letzter Tag im September</b><br />
<br />
Donnerstagabend stellte ich einen Teller mit Oliven<br />
im Kaminzimmer auf den Tisch<br />
Die Schwedische Akademie hat den Nobelpreisträger für Literatur<br />
<div style="text-align: left;">
bekannt gegeben Günter Grass habt ihr gesagt</div>
<br />
Im Kamin orgelte Wind<br />
Tagsüber waren körbeweise Mandeln und Äpfel von den Bäumen am<br />
Straßenrand gestürzt Wir steckten neue Kerzen auf den Leuchter<br />
und zündeten sie an<br />
<br />
Die FAZken werden sich im GeSCHIRR der MeinungsMACHER<br />
überschlagen blasierte Herren die sich in Anzug und Krawatte<br />
hochgetreten haben ellenbogenwinklig aalwütig blindglatt sagte ich<br />
und meinte die Kritiker von Grass<br />
<br />
Regen strähnte gegen Fenster<br />
Nachtwärts kam kein einziger Stern hinter den triefenden Wolken hervor<br />
Auf dem Tisch dampfte ein Fleischkäse Wir schnitten ihn scheibenweise<br />
<br />
Als von Staats wegen unerwünscht war Druckerzeugnisse von München<br />
nach Dresden zu schicken wurde mir DIE RÄTTIN aus einem Paket<br />
konfisziert von Ratten in Uniform sagte ich<br />
und biß in den Käse<br />
<br />
Wind rüttelte an Fensterläden<br />
Etwas drückte die Flammen der Kerzen zur Seite ein Luftzug als wäre<br />
die Tür aufgegangen einen schnauzbärtigen Mann einzulassen<br />
<br />
Eine überlagerte Dichterin hat irgendwann zu mir gesagt<br />
es genüge nicht zornig zu sein auch für den Zorn gäbe es Bilder<br />
und zitierte eine Stelle aus Majakowskis WOLKE IN HOSEN<br />
später als sie sich unbeobachtet wähnte nahm sie einen Handspiegel<br />
aus der Tasche hielt ihn sich vor den Mund bleckte die Zähne<br />
und schien zufrieden<br />
<br />
Ausgefranste Wolkenränder zeigten Mondlicht<br />
Das Fladenbrot raschelte als wir es auseinanderbrachen<br />
Nicht eine Fledermaus kam hinter dem Kamin hervor<br />
<br />
Erst als DIE BLECHTROMMEL bei VOLK UND WELT erschien<br />
kam Grass nach Dresden zum Trommeln der Saal überfüllt kein Stuhl frei<br />
Er stand am Pult vor mir Ich saß auf Wellpappe vor ihm genügend Ratten<br />
waren auch dabei erzählte ich<br />
und füllte die Gläser erneut<br />
<br />
Nach einer Wanderung aß ich Flammkuchen trank neuen Wein als ich aus<br />
der Gaststube ging fragte ein Mann ob ich Herr Meitner aus Hauenstein<br />
sei ich würde aussehen wie Herr Meitner aussieht auf dem Foto<br />
in der RheinPfalz heute Aber ich war nicht Herr Meitner war nicht<br />
aus Hauenstein nicht in der RheinPfalz fast tat es mir leid<br />
<br />
Nicht Walser nicht Wolf nicht Heym nicht Enzensberger <br />
nicht Braun nicht Rühmkorf nicht Lenz nicht Simmel nicht Schneider<br />
nicht KlingKlang nicht Papenfuß nicht Grünbein nicht Schrott nicht<br />
Kirsten nicht Kirsch nicht Kunze nicht Kunert nicht du nicht ich<br />
nein Grass<br />
<br />
Von fern grollte Donner<br />
Die griechischen Weinblätter waren wohl gefüllt und gut geölt<br />
Wir wünschten uns Glück stießen mit Dornfelder an und klopften<br />
dreimal auf Holz was klang als klopfe ein schnauzbärtiger<br />
Mann seine Pfeife aus<br />
<br />
Wir redeten über das Sprechen in verschiedenen Sprachen daß du träumst<br />
in der Muttersprache daß du lebst in der Zweitsprache daß du aber<br />
liebst in einer Drittsprache die nur du sprichst redeten wir uns ein<br />
<br />
Von der Rietburg fielen Lichter durch eine Schneise auf weinfrohe Stadt<br />
federleicht weiß krochen Nachtgestalten allerlei Getier ums Haus<br />
Hunde und Schnecken Katz und Maus Ratten und Unken und ein<br />
Steinbutt krönte wortreich die Poesie der Nachbarn<br />
<br />
Himmelhoch schreiender Selbstbetrug der Sprache abzuverlangen<br />
was sie nicht kann statt von uns Abstand zu nehmen<br />
nimmt sie uns beim Wort<br />
<br />
Am Ende ließen wir die Kirche im Dorf alle Dinge im Kaminzimmer<br />
an ihrem Platz nur der Dornfelder blieb nicht in der Flasche<br />
die Kerzen bliesen wir aus und ein schnauzbärtiger Mann<br />
blieb am Kamin zurück aber er blieb im Haus<br />
<br />
<br />
1999</div>
Michael Wüstefeldhttp://www.blogger.com/profile/06133041552877944525noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-247670106551671439.post-2114421082211818322015-01-16T16:17:00.000+01:002015-01-16T16:17:12.973+01:00Nach Sonnenabgang<div dir="ltr" style="text-align: left;" trbidi="on">
Nach Sonnenabgang seh ich mich im Fenster<br />Ein gräulicher Zausel<br /> Wer hätte das gedacht<br />Drinnen Schreiblicht<br /> Draußen Nacht<br />Nach Mondaufgang seh ich Gespenster<br /><br />Irgendwann hängt Herbst in den Bäumen<br />Irgendjemand stößt der Nachtigall Bescheid<br />Irgendwo hält sich ein Marschall bereit<br />Ob wir wachen oder träumen<br /><br />Nach Sonnenaufgang wird Wissen ungenau<br />Dort rasseln Eichen mit Laub<br />Hier klirren Fahnen aus Staub<br />Nach Mondabgang wird alles preußisch Blau<br /><br />Okt. 2014</div>
Michael Wüstefeldhttp://www.blogger.com/profile/06133041552877944525noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-247670106551671439.post-81311155813261400422015-01-16T16:14:00.001+01:002015-01-16T16:14:16.706+01:00Fallsucht<div dir="ltr" style="text-align: left;" trbidi="on">
Wir fallen tief<br />dorthin<br />wo im Sand unser Schatten schlief<br /><br />und tiefer noch<br />ins Wasser<br />wo am Grund unser Spiegelbild liegt<br /><br />und noch tiefer<br />unter Sterne<br />wo im Nebel der Erdenstaub fliegt<br /><br />wir fallen tief<br />dorthin<br />wo es zum Kreuz den Süden rief<br /><br />Okt. 2014</div>
Michael Wüstefeldhttp://www.blogger.com/profile/06133041552877944525noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-247670106551671439.post-90061058221032789022013-05-23T13:28:00.000+02:002013-05-27T20:44:46.368+02:00Sarah Kirsch 1935 - 2013<div dir="ltr" style="text-align: left;" trbidi="on">
Nach dem November 1976 zählten wir Leser die Autorenabgänge aus dem "Leseland". Einer nach dem anderen verschwand auf Nimmerwiedersehen. Von Sarah Kirsch war gerade noch der Gedichtband "Rückenwind" erschienen. Gerüchte besagten, sie sitze schon auf den Umzugskisten. Aus einer Laune heraus rief ich sie an. Sie meldete sich, also war sie noch da. Im Mai 1977 besuchte ich sie auf der Berliner Fischerinsel 9, 17. Etage. Wir sprachen zwei Stunden, das war Rückenwind für meine Gedichte. Wenige Wochen später zog sie von Ost nach West. Ich dachte an ihren allerletzten "Rückenwind" - Vers mit dem unmißverständlich programmatischen Ausrufungszeichen: "Und flieg davon durch den Sommer!" Das plagiierte ich. Aber nur auf dem Papier. Erst kurz bevor es mit dem "Leseland" aus und vorbei war, konnte 1989 wieder ein Buch von ihr "Printed in the German Democratic Republic" erscheinen, eine überraschende Wiederbegegnung in Leinen gebunden.<br />
<b><br /></b>
<b>Plagiat für S.K.</b><br />
<br />
Raubvogel bitter die Luft<br />
So kreiste er nie in<br />
Köpfen und Händen<br />
So stürzt er nur einmal<br />
In die Sonne<br />
<br />
Im Sommer flog er über<br />
Stilles Land davon<br />
Der Falke ist<br />
Mein Herz klopft<br />
Hinüber hinüber<br />
<br />
1977</div>
Michael Wüstefeldhttp://www.blogger.com/profile/06133041552877944525noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-247670106551671439.post-16237243831847030902012-11-15T15:55:00.000+01:002012-11-15T15:55:52.472+01:00Zum Tag des verfolgten Schriftstellers<div dir="ltr" style="text-align: left;" trbidi="on">
Für die Macht ist das „freie Wort“ keine Verhandlungssache<br />
<br />
Das Wort ist niemals frei. Es wird von vielerlei Abhängigkeiten umstellt, es wird mißbraucht, verfolgt, unterdrückt, verboten, abgetötet. Hierzulande genießt es allenfalls Narrenfreiheit. Scheinbar kann alles gesagt und geschrieben werden. Und die Narren sind so frei, das Wort zu annektieren, es auszuhöhlen, bis nurmehr Hülsen übrig sind. Wer aber hört die Hülsen klappern, wer liest aus Wortweizen die Spreu? Eine Minderheit. Das mag so oder so bedauerlich sein, ist jedoch das kleinere Übel. Andernorts ist es um das Wort weitaus schlimmer gestellt. Dort geraten Schriftsteller, Journalisten und Verleger in Situationen, bei denen Worthülsen zu Patronenhülsen mutieren und es um Leben und Tod geht. Wo sich knallhart Macht behaupten will, ist das „freie Wort“ keine Verhandlungssache. Wer das Sagen hat, will es keinem Anderen überlassen. Und dafür sind alle Mittel recht. Fast schon zum Alltag gehören Zensur, Geldstrafe, Berufsverbot, Verbannung, Hausarrest. Drastischer jedoch nicht unbedingt seltener sind Haftstrafe, Todesdrohung, Mord. Das freie Wort zu schützen und die freie Meinungsäußerung zu verteidigen, dazu verpflichten sich Schriftsteller, wenn sie der internationalen Autoren-Vereinigung P.E.N., Abkürzung für poets, essayists, novelists, zugewählt werden. 1921 nach schönster englischer Club-Tradition in London gegründet, geprägt von einer nach dem Ersten Weltkrieg erstarkenden Friedensbewegung, gab es bereits 1924 in Europa und den USA 18 nationale P.E.N.-Zentren, heute sind es weltweit 145. Anfangs hielt sich der Club politisch vornehm zurück. Nach den schmerzlichen Erfahrungen mit Faschismus und Zweitem Weltkrieg, nach Stalinismus und Hexenjagd unter McCarthy sollte es bis April 1960 dauern, daß sich innerhalb nationaler P.E.N.-Zentren so genannte „Writers in Prison Committees“ (WiPC) bildeten, übrigens ein Jahr bevor sich „amnesty international“ gründete. Seither wird auf die Verfolgung von Schriftstellern namentlich hingewiesen. Mitunter kann über diplomatische Kanäle oder durch publizistisch öffentlichen Protest das Schlimmste verhindert werden. Trotzdem registrierte das in London ansässige WiPC-Büro seit seiner Gründung 650 Todesopfer. Die Hoffnung, mit dem Ende des Kalten Krieges würden sich „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ auch im Umgang mit dem Wort durchsetzen, hat furchtbar bankrott gemacht. Allein in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion wurden seit den frühen 1990er Jahren 64 Publizisten und Redakteure ermordet, davon 30 unter Wladimir Putin, seines Zeichens Präsident Rußlands und Träger des Sächsischen Dankesordens. Alle sechs Monate aktualisiert und veröffentlicht das WiPC einen an die 100 Seiten umfassenden Bericht über die von ihm erfaßten 800 bis 1.000 Fälle verfolgter Schriftsteller. Unermüdlich wird mit gezielten Aktionen auf einzelne Schicksale hingewiesen. 1980 wurde der 15. November offziell zum „Writers in Prison Day“, zum „Tag des verfolgten Schriftstellers“ erklärt.<br />
<br />
Am 15. November 2012, 19 Uhr lesen im Literaturhaus Villa Augustin die P.E.N.-Mitglieder Michael G. Fritz, Wolfgang Hädecke, Norbert Weiß, Jens Wonneberger und Michael Wüstefeld Texte von Joseph Roth und Klaus Mann sowie von Stipendiaten des P.E.N.-Exilprogramms. Der Eintritt ist frei.</div>
Michael Wüstefeldhttp://www.blogger.com/profile/06133041552877944525noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-247670106551671439.post-12121043801663501562012-11-11T21:38:00.001+01:002012-11-11T21:54:05.678+01:00Was es soll<div dir="ltr" style="text-align: left;" trbidi="on">
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<!--
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P { margin-bottom: 0.21cm }
</style>
<br />
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<b><span style="color: black;"><span style="font-family: Helvetica, Arial, sans-serif;"><span style="font-size: small;">Pécser
Impression 10</span></span></span></b></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<b><span style="color: black;"><span style="font-family: Helvetica, Arial, sans-serif;"><span style="font-size: small;">Was
es soll</span></span></span></b></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<br /></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;"><span style="font-family: Helvetica, Arial, sans-serif;"><span style="font-size: small;">Was
will ich denn noch hier</span></span></span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;"><span style="font-family: Helvetica, Arial, sans-serif;"><span style="font-size: small;">Was
soll der freundliche Ton</span></span></span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;"><span style="font-family: Helvetica, Arial, sans-serif;"><span style="font-size: small;">Nach
mir kräht kein Federtier</span></span></span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;"><span style="font-family: Helvetica, Arial, sans-serif;"><span style="font-size: small;">Nur
der Fährmann wartet schon</span></span></span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<br /></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;"><span style="font-family: Helvetica, Arial, sans-serif;"><span style="font-size: small;">Worauf
noch hoffen</span></span></span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;"><span style="font-family: Helvetica, Arial, sans-serif;"><span style="font-size: small;">Was
soll die tägliche Fron</span></span></span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;"><span style="font-family: Helvetica, Arial, sans-serif;"><span style="font-size: small;">Ach
lassen wir es offen</span></span></span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;"><span style="font-family: Helvetica, Arial, sans-serif;"><span style="font-size: small;">Der
Fährmann wartet schon</span></span></span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<br /></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;"><span style="font-family: Helvetica, Arial, sans-serif;"><span style="font-size: small;">Wozu
im Laufrad rennen</span></span></span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;"><span style="font-family: Helvetica, Arial, sans-serif;"><span style="font-size: small;">Was
für ein Hohn</span></span></span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;"><span style="font-family: Helvetica, Arial, sans-serif;"><span style="font-size: small;">sich
Dichter zu nennen</span></span></span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;"><span style="font-family: Helvetica, Arial, sans-serif;"><span style="font-size: small;">Der
Fährmann wartet doch schon</span></span></span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<br /></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;"><span style="font-family: Helvetica, Arial, sans-serif;"><span style="font-size: small;">Wozu
noch dichten</span></span></span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;"><span style="font-family: Helvetica, Arial, sans-serif;"><span style="font-size: small;">Was
soll denn das mein Sohn</span></span></span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;"><span style="font-family: Helvetica, Arial, sans-serif;"><span style="font-size: small;">Keiner
wird das sichten</span></span></span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;"><span style="font-family: Helvetica, Arial, sans-serif;"><span style="font-size: small;">Der
Fährmann wartet schon</span></span></span></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<br /></div>
<div style="margin-bottom: 0cm;">
<span style="color: black;"><span style="font-family: Helvetica, Arial, sans-serif;"><span style="font-size: small;">M.
W. 14.10.2012</span></span></span></div>
</div>
Michael Wüstefeldhttp://www.blogger.com/profile/06133041552877944525noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-247670106551671439.post-61097008136886157172011-12-02T21:43:00.002+01:002011-12-06T17:07:23.446+01:00Während sich feuilletonistische Nachrufroutiniers spreizen, bekenne ich mich zu unverblümter Trauer. Ein Gedicht, das anläßlich ihres 80. Geburtstages entstanden ist.<span style="font-size: large;"><b>Was nicht bleibt</b></span><br />
Doppelte Verneinung für Christa Wolf<br />
<br />
<br />
Das NichtGelebte bleibt nicht<br />
Auch nichtsnutziges NichtLeben nicht<br />
Wie der Dinosaurier nicht bleibt<br />
Das Strahlentierchen<br />
<br />
Nicht nichtet das Nichts unausgesetzt<br />
<br />
Das NichtGesprochene bleibt nicht<br />
Auch NieAusgesprochenes nicht<br />
Wie das Löweneckerchen nicht bleibt<br />
Das Bucheckerchen<br />
<br />
Nicht stiftet jene andere Sprache kein Ohr<br />
<br />
Das Blei bleibt nicht<br />
Auch der Bleisatz nicht<br />
Wie also das Bleierne nicht bleibt<br />
Ente noch Zeit<br />
<br />
Nicht gesund bleibt nivellierender Haß<br />
<br />
Das NichtGeträumte bleibt nicht<br />
Auch NieGedachtes nicht<br />
Wie der Waffelbruch nicht bleibt<br />
Der Wörterbruch<br />
<br />
Nicht bleibt des Doppelnichts bejahendes NeinMichael Wüstefeldhttp://www.blogger.com/profile/06133041552877944525noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-247670106551671439.post-15398541387528513422011-11-25T17:13:00.017+01:002011-11-25T17:31:32.973+01:00... sie waren doch blind auf dem rechten Auge/Aus aktuellem Anlaß ein Gedicht aus dem Jahr 1992 <b><span style="font-size: large;">Wie ich aus Amsterdam nach Dresden<br />
zurückgeholt wurde</span></b><br />
<br />
<br />
Es war ein verräterisch leichtes Gefühl<br />
tagelang ohne Zeitung zu sein<br />
Es war der Augenblick zwischen zwei Atemzügen<br />
Es war das Atmen zwischen den Blicken<br />
wenn die Bäume mit einem Mal grün werden<br />
und das Paar im Haus gegenüber sich küßt<br />
als ich die Nachricht las<br />
<span style="color: #cc0000;">Eintausend NeoNazis durch Dresden marschiert</span><br style="color: #cc0000;" /><span style="color: #cc0000;"> und die NeoDemokratie hat es erlaubt</span><br style="color: #cc0000;" /><span style="color: #cc0000;"> und der Rechtsstaat weiß schon warum</span><br style="color: #cc0000;" /><span style="color: #cc0000;"> es nicht Linksstaat heißt</span><br />
<br />
Im nächsten Traum sehe ich am Dresdner Rathaus wieder<br />
die roten Fahnen wehn<br />
mit dem verkrümmten Zeichen im Kreis<br />
auch die Andreaskreuze im Wappen von Amsterdam<br />
krümmen sich im Traum auf die bekannte Weise<br />
und ich bin eingekreist<br />
und aus den Urnen fährt der Väter Geist<br />
Hamlet ruft es wir sind verraten<br />
<br />
Die Feuer meiner untergegangenen Stadt<br />
liegen wie Schatten auf der Haut<br />
und Schreie kommen aus den Sirenen<br />
durch die ein Lichtstrahl wie ein Christbaum wächst<br />
und es ist furchtbar kalt<br />
<br />
Ich verbiete mir zu schlafen<br />
weil schlafen träumen heißt<br />
Ich verbiete mir zu träumen<br />
weil träumen sehen heißt<br />
<br />
Ich treffe Touristen auf der Kalverstraat<br />
höre sie mit sächsischen Zungen Preise vergleichen<br />
und frage habt ihr am Dresdner Rathaus auch<br />
die roten Fahnen gesehn<br />
mit dem verkrüppelten Zeichen<br />
Sie verstehen die Sprache meiner Frage nicht<br />
und legen mir einen Gulden in die sprachlos offene Hand<br />
<br />
Das braune Bier das ich am liebsten trank<br />
schmeckt jetzt nach Galle<br />
Ich kann die Hunde nicht mehr sehn<br />
die braune Haufen auf die Steine setzen<br />
Ich stehe vorm Haus der Anne Frank und denke<br />
Dieses Mal wird auch ihr Buch verbrannt<br />
<br />
Wo ist die Geschichte die sich nicht wiederholt<br />
Wo ist das Volk das sich selber richtet<br />
<br />
Die Wolken ziehen sich zusammen<br />
Es regnet in Amsterdam<br />
Die Passanten rennen in die Untergänge<br />
Ich stehe am RandMichael Wüstefeldhttp://www.blogger.com/profile/06133041552877944525noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-247670106551671439.post-14124396729743309102011-10-03T11:33:00.000+02:002011-10-03T11:33:05.448+02:00Kalauer zum Tag der Deutschen EinheitDie ruhmreichen Werktätigen wußten es schon<br />
Am Vorabend deutschester KopulationMichael Wüstefeldhttp://www.blogger.com/profile/06133041552877944525noreply@blogger.com